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Lebe bunt!

 

Ich habe den Eindruck, dass sich gerade gefühlt jeder müde und erkältet durch den Tag schleppt. Meine Seele sehnt sich nach etwas Sonne und Wärme oder alternativ nach Schnee, blauem Himmel und knackig kaltem Winter. Aber das Wetter da draußen kann sich nicht entscheiden. Entweder alles ist Grau in Grau. Die Sonne lässt sich nicht blicken und der Welt scheinen die Farben zu fehlen. Oder wir haben vorgezogenen April: Sturm, Sonne, Schneeschauer, Platzregen, Hagel, alles wird innerhalb von dreißig Minuten geboten. Danach ist es wieder still. Und trist. Manchmal höre ich durch das Grau die Vögel zwitschern und mein Herz macht einen kleinen Frühlingshüpfer. Ich will Frühling oder Winter, aber nicht diesen öden Einheitsbrei. Kann nicht jemand die Maus Frederick holen, damit sie ihre Farben und Wörter auspackt? 

 

 

Kein Frederick weit und breit. Notgedrungen mache ich mich selbst auf die Suche nach Farbe, Licht und Wärme. Stöbere in alten Fotos. Und entdecke eine bunte Vielfalt: Regenbogen, Kirchenfenster, Kürbisse, illuminierte Wasserspiele, Gewürze, Schirme, Geburtstagskuchen, Frühlingsblumen, Herbstlaub, Märchenwolle, Bodenbilder ...

 

 

Beim Anblick der Fotos schwelge ich in Erinnerungen. Bilder von Familienfesten und Kreativzeiten sind dabei, aber auch ganz viele Urlaubsschnappschüsse. Die bunten Liebesschlösser auf der Seine-Brücke in Paris,  Schirme über unserer Partnerstadt Brive la Gaillarde, Flaggen aus aller Herren Länder bei den United World Games in Klagenfurt, die Sagrada Familia in Barcelona ...

 

 

Vielfalt, die unser Leben bereichert. Etliche dieser bunten Momente haben wir unterwegs erlebt. Fremde Gerüche, Gewürze, Eindrücke. Manchmal tastet man sich vorsichtig heran, ein anderes Mal ist es Liebe auf den ersten Blick. Und selbst, wenn man danach die Finger davon lässt, eine Erfahrung war es allemal. 

"There are no foreign lands. It is the traveler who is foreign" (Robert Louis Stevenson).

2020 wird - Dank unserer Kinder - ein ziemlich internationales Jahr für uns, ohne dass wir selbst dafür verreisen. Nächste Woche haben wir eine französische Austauschschülerin hier, die Sophia im Monat darauf in Bordeaux besucht. Im Sommer erfolgt dann der Gegenbesuch einer polnischen Schülerin, bei der Sophia bereits zu Gast war. Den Abschluss macht ein Mädchen aus Indien, das zweieinhalb Wochen bei uns wohnt und zu der Lina dann im Herbst fliegen wird. Wir haben noch keine Erfahrungen mit Austauschschülern, freuen uns aber darauf, auch wenn es mit Arbeit und Geld verbunden ist. Ich glaube, es werden ganz wichtige Begegnungen und Erfahrungen für unsere Kinder. Lassen sich Offenheit und Toleranz doch am besten durch persönliche Kontakte erreichen. In Zeiten von Brexit, Donald Trump und zunehmender Fremdenfeindlichkeit in unserem Land ist das so wichtig. Sophia erzählte mir, dass viele polnische Familien der Überzeugung sind, Deutschland sei ein gefährliches Pflaster, das von Asylanten nur so überrannt worden wäre und in Folge dessen unter Kriminalität zu leiden hätte. Wahnsinn, welche Propaganda in diesem Land gelebt wird. Und umso wichtiger, dass die jungen Leute hierher kommen, um das echte Deutschland kennenzulernen. Die Welt ist bunt. Klar, wir haben unterschiedliche kulturelle und religiöse Prägungen und manchmal führt das auch zu Missverständnissen und Reibungspunkten. Aber Reibung erzeugt Wärme. Vielfalt ist auch spannend und bereichernd. Lassen wir uns das durch Angst und Vorurteile nicht nehmen. Schaffen wir Raum für Begegnungen.

 

Immer noch ist es draußen trist und trüb. Ich bin mit den Urlaubsbildern durch und überlege, ob es nicht auch hier - zu Hause, in der Arbeit, in meinem Alltag - Farbe zu entdecken gibt. Wenn ich genau hinsehe, bemerke ich sie. In meinem Büro in der Schule habe ich freien Blick auf Meer und Horizont. Es ist zwar nur eine Bilderserie, aber mein Auge ruht immer mal wieder dort aus.

 

Zu Hause liegen seit gestern fertig gestaltete Konfirmationseinladungen auf dem Schreibtisch, die nur noch auf den inneliegenden Text warten, um verschickt zu werden. Und ich warte auf die Angabe unseres Pfarrers, wann genau der Gottesdient beginnt. 

 

Unser Bad ist immer noch eine Baustelle. Immerhin eine bunte. Eigentlich dachte ich, dass heute die Fliesenleger kommen. Ich hoffe, unsere französische Austauschschülerin kann gut damit leben, dass die Dusche im Keller ist und wir uns die kleine Gästetoilette zu fünft teilen. Andererseits, wie gut, dass wir überhaupt Dusche und Toilette haben. 

 

Im Mai bin ich als Referentin eingeladen und soll vor etwa dreißig bis fünfzig Frauen über mein Buch sprechen. In meiner Brust schlagen zwei Herzen, wenn ich daran denke. Heute Abend findet der Hauskreis bei uns statt und ich starte einen kleinen Versuchsballon. Wie gut, Freunde zu haben, wo so etwas ohne Angst vor Verlusten möglich ist. Da fällt mir ein: Auch dieser Kreis ist bunt. Die zwölf Frauen, die sich alle vierzehn Tage an unterschiedlichen Orten treffen, um sich über Gott und die Welt auszutauschen, sind zwischen dreißig und fünfzig, Mütter und Nicht-Mütter, verheiratet und nicht verheiratet, groß und klein, dick und dünn, blond-, rot- und dunkelhaarig, evangelisch, katholisch, freikirchlich, interessiert … Und gerade diese Vielfalt macht unseren bunten Haufen so besonders und liebenswert. 

 

Macht dir das trübe Einheitsgrau-Matschwetter auch so zu schaffen? Stöbere mal in (Urlaubs-)Bildern, stell dir einen Blumenstrauß auf den Tisch und ...

 

lebe bunt !

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