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Kirchen(t)räume

 

Kennst du mich noch? Ich bin die, die früher mal regelmäßig gebloggt, zwei Bücher geschrieben und auch den einen oder anderen Zeitschriftenartikel verfasst hat. Glaub mir, ich bin´s immer noch. Wie heißt es schon in der Bibel? Alles hat seine Zeit. Und zu dieser Zeit geht (fast) alle meine Energie in die Leitung einer Schule und den Aufbau einer weiteren. Das ist sehr erfüllend und spannend und wahnsinnig Zeit fressend und nervenaufreibend. Es ist aber momentan einfach dran. Trotzdem oder gerade deswegen nutze ich den Moment und melde mich mal wieder aus der Versenkung. Viele meiner Gedanken haben derzeit mit Schule zu tun. So auch ein bisschen der, den ich heute mit dir teilen möchte.

 

Unser altehrwürdiges Schulgebäude soll saniert werden. Zwei berufliche Schulen, eine künftige Fachakademie für Sozialpädagogik, eine Grundschule und etliche Krippengruppen finden in diesem Haus Platz. Außerdem Geschäftsführung, IT-Abteilung, Verwaltung und was noch so alles zu einem solch bunten Sammelsurium an Einrichtungen gehört. Außerdem leben einige Ordensschwestern unter diesem Dach und es gibt eine Kapelle. Wir sind eine Schule in katholischer Trägerschaft und auch wenn das - leider teilweise zurecht - gleich an Missbrauchsskandale denken lässt, und auch wenn ich Mitglied der evangelischen Kirche bin, und auch wenn das vielleicht angestaubt klingt, hat es einiges damit zu tun, dass ich immer noch an dieser Schule unterrichte, inzwischen Schulleitung bin und sehr viel Zeit damit verbringe, die Schule weiterzuentwickeln und mitzugestalten. Denn es ist ein besonderer Geist in diesem Haus, der es für mich von anderen unterscheidet. Da gibt es Ordensschwestern, die für uns beten und eine Oberin, die mir inzwischen sehr ans Herz gewachsen ist und deren Offenheit und  Zeit, die sie mir entgegenbringt, ich sehr schätze und nicht missen möchte. Es geht oft drunter und drüber bei uns, aber es geht persönlich zu. 

 

Unser altehrwürdiges Schulgebäude soll saniert werden und die Kapelle wird keinen Platz mehr darin finden.

 

 

Schnitt. Andere Stadt, andere Kirchengemeinde, andere Konfession. Einer der Pfarrer meiner Heimatkirchengemeinde verlässt uns. Es muss Personal eingespart werden und aus diesem oder jenem Grund hat es einen getroffen, der diese Kirchengemeinde wie kein anderer geprägt hat. Einen, der neben Gottesdiensten und klassischer Gemeindearbeit mindestens eine Sozialpädagogenstelle mit abgedeckt hat, Stadtteilarbeit in einem sozial schwächeren Viertel aufgebaut und mit seiner authentischen Art jeden Sonntag die Kirche gefüllt hat. Ein echter Verlust, man kann es nicht anders sagen. Auch, wenn man Kirche nicht von einzelnen Personen abhängig machen soll. Neben ganz viel Betroffenheit, hat sich ein engagierter, erstaunlich großer und hoffnungsfroh stimmender Kreis von Menschen gefunden, die sich dafür verantwortlich fühlen, den Gottesdienst in dieser Stadtteilkirche aufrechtzuerhalten, auch weiterzuentwickeln. Es herrscht Aufbruchstimmung statt Resignation. 

 

Ich höre und lese davon. Denn ich selbst bin schon ganz lange nicht mehr in der Kirche gewesen. Abgesehen von der Konfirmation meines Patenkindes im letzten Monat oder der Hochzeit des anderen im letzten Jahr. Klar, ich habe ja auch gar keine Zeit für so etwas. Ich arbeite oft an die elf Stunden am Tag, komme nicht  zum Pausemachen und habe den Kopf voll mit anderen Dingen. Und wenn dann endlich mal Wochenende ist, muss ich dringend ausschlafen und will die Zeit mit meiner Familie genießen oder auch einfach mal meine Ruhe haben. Kirche wäre da nur zusätzlicher Stress, ein Zeitfresser, ein Energieräuber. 

Oder?

 

 

So, und jetzt fragst du dich vermutlich, was das Eine eigentlich mit dem Anderen zu tun hat? Die Sanierung unseres Schulhauses, das geplante Wegfallen der Kapelle mit den Veränderungen in unserer Kirchengemeinde und meiner Gottesdienstmüdigkeit.

 

Irgendwo in meinem Kopf ist da eine Verbindung entstanden. Es sind eher lose Gedankenfäden als ein logisches Konstrukt. Ich frage mich, wo Glaube bleibt, wenn man ihm keine Zeit mehr einräumt. Und wo Glaube bleibt, wenn man ihm keinen Ort mehr gibt. Oder ob alles "nur" neu gedacht werden muss? 

 

Kürzlich habe ich mich seit Ewigkeiten mal wieder mit einer Freundin getroffen, einer, die schon immer sehr engagiert in unserer Kirchengemeinde war und jetzt auch Teil dieses Teams der Neugestaltung ist. Wir sind ins Plaudern gekommen. Ich habe laut gedacht und mich gefragt, warum ich nicht gerade, wenn ich in meinem Alltag so gestresst und eingespannt bin, im Gottesdienst meine Quelle zum Auftanken suche und finde. Laut denken ist ja nicht das Schlechteste und oft komme ich erst im Gespräch dazu, meine Gedanken klar zu formulieren. Was ist es, was ich mir von einem Gottesdienst zum Auftanken wünsche, und was ist es nicht?

 

In der Schule ist man von zu viel Frontalunterricht weggekommen. Er hat durchaus seine Berechtigung, aber er sollte bewusst und nicht ausschließlich eingesetzt werden. Die Schülerinnen und Schüler von heute brauchen etwas anderes als die von gestern und vielleicht hätte auch denen schon etwas anderes gut getan. Dass vorne jemand steht und darüber referiert, wie das Leben geht - selbst wenn er bemüht ist, eine Brücke zur Lebenswelt seiner Zuhörer einzubauen - ist nicht (mehr) das, was die Menschen brauchen. Und ich glaube, das trifft auch auf Gottesdienste zu. Warum nicht - wie in einem pädagogischen Team - schauen, welche Stärken, Fortbildungen, Hobbys, Leidenschaften die Mitarbeiter*innen mitbringen und diese gezielt einsetzen? Dann ginge ich vielleicht nächsten Sonntag (oder vielleicht auch Samstag und vielleicht auch nicht am Morgen) gemeinsam mit anderen in den Wald, um an eine Quelle zu wandern und dabei über Gott, die Quelle des Lebens, ins Gespräch zu kommen. Und beim nächsten Mal würden wir gemeinsam töpfern und darüber nachdenken, wie das Bild von Gott dem Schöpfer, der den Menschen formte und ihm Lebensatem einblies, zu verstehen sein könnte. Über Bible Art Journaling oder beim kreativen Schreiben ließen sich biblische Texte ganz neu entdecken und interpretieren. Und warum nicht gemeinsam Brot backen und über das Brot des Lebens philosophieren? Oder wie wäre es mit einer Bergtour unter dem Psalmwort "Ich schaue hinauf zu den Bergen - woher kann ich Hilfe erwarten? Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat." (Psalm 121, 1f).

 

 

Brauchen wir sie dann noch, die Kapellen, die Kirchen? Ich glaube schon. Irgendwann wollte ich mal ein Buch über Heilige Orte schreiben, über Räume, die Kirche sind. Vielleicht kommt die Zeit dafür noch, mal sehen. Ich glaube, jeder Ort kann Kirche sein. Aber manchmal braucht es einen besonderen Zufluchtsort. Und macht es nicht auch etwas mit einem Dorf, wenn in seiner Mitte (wie gewöhnlich) eine Kirche steht? Mich hat es in meinem Leben immer wieder an den verschiedensten Orten in Kirchen gezogen. In der Großstadt, wenn ich einen Moment innehalten wollte. Nach der Verkündigung meiner Examensergebnisse, nach einer erlebten Bewahrung oder Heilung zum "Danke" sagen. Unsere Kinder haben in Kirchen auf der ganzen Welt Kerzen angezündet. Und auch die großen Familienfeste - Taufe, Konfirmation, Hochzeit - sind für mich mit Kirchengebäuden verbunden, wie auch das letzte Weggeleit. 

 

Lasst sie uns also bewahren, weil sie nicht nur Gemäuer, leere Hüllen sind. Und lasst uns Kirche trotzdem neu denken - in Zeit und Raum. 

 

Fotos: 1. St. Klara, Nürnberg  -  2. St. Ludgerus, Norderney  -  3. Sagrada Familia, Barcelona

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Kommentare: 2
  • #1

    Regula Küchler (Dienstag, 06 Juni 2023 21:35)

    Sehr treffend zusammen gedacht und gefasst! Hat mich selber an meine Kirchen-, Gottesdienstmüdigkeitcerinnert!

  • #2

    Karin (Mittwoch, 07 Juni 2023 09:00)

    Dann hat sich doch die Installation des Blogs rentiert! Mach weiter so.