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Barmherzigkeit

 

Zu Beginn jedes Jahres journale ich die neue Jahreslosung. Bei der kreativen Umsetzung der Bibelstelle kann ich mein Gedankenkarussell meist ganz gut abschalten und gehe in Verbindung mit dem Text. "Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist", hieß es für das Jahr 2021 und es fiel mir so schwer, wie schon lange nicht mehr, etwas für mich persönlich aus der Botschaft zu ziehen. Erst jetzt, wo das Jahr ausklingt, merke ich, wie passend sie für diese zwischenmenschlich sehr herausfordernde Zeit doch ist. 

 

 

Mit steigenden Inzidenzen nehmen auch die Aggressionen unter uns wieder zu. Ob in den sozialen Medien oder in der eigenen Familie: Die Meinungen, wie wir uns in der Pandemie verhalten sollen, gehen stark auseinander. Und da uns die Situation mit sommerlichen Unterbrechungen nun doch schon ziemlich lange begleitet, kochen die Emotionen hoch. Menschen, die ihre Bedenken gegenüber einer Impfung laut äußern, werden ziemlich schnell als verantwortungslose Egoisten in der Luft zerrissen. Andere verbreiten Fake-News, schüren Ängste bezüglich möglicher Impffolgen und verunsichern damit die noch Unentschlossenen. Das Krankenhauspersonal - mal wieder an seiner Leistungsgrenze angekommen - verzweifelt darüber, dass Operationen verschoben werden müssen, weil die Intensivstationen voll sind. Psychische Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen nehmen zu. Während die einen Eltern sich deswegen vor einem erneuten Lockdown fürchten, bangen die anderen um die Gesundheit ihrer Kinder, weil trotz Inzidenzen um die 1000 Unterricht in vollen Klassenzimmern stattfindet und bei positiven Fällen kaum noch jemand in Quarantäne geschickt wird. Kann man auch jüngere Kinder bedenkenlos impfen, wenn es doch zugegebenermaßen noch keine Erkenntnisse über mögliche Langzeitfolgen gibt? Oder setzt man sie mit der Erkrankung einem größeren Risiko aus? Ich könnte jetzt auch von den Ängsten und Sorgen bei Rentnern, chronisch kranken Menschen oder Arbeitnehmern, wie Künstlern, Gastronomen, Erziehern und Lehrern schreiben und hätte damit noch längst nicht alle Personengruppen genannt. 

 

So unterschiedlich die Meinungen und Verhaltensweisen auch sind, ich glaube, es steckt vor allem Angst dahinter und die ist zutiefst menschlich. Auch ich denke mit Schrecken daran, was gewesen wäre, wenn mein Mann bei seinem Herzinfarkt Anfang des Jahres kein Intensivbett bekommen hätte. Ich wäge Impf- versus Krankheitsfolgen bei meiner Familie und mir ab. Als vollständig Geimpfte und Genesene kann ich es mir quasi raussuchen. Angst ist menschlich, aber leider kein guter Ratgeber. Und so reagieren wir unter dem Einfluss unserer Angst oft ungehalten, panisch oder aggressiv, statt überlegt und ruhig. Auch das ist soweit nichts Ungewöhnliches. 

 

Und hier kommt die Barmherzigkeit ins Spiel. Ich glaube, wir alle  brauchen in dieser besonderen Zeit eine große Portion Barmherzigkeit. Für uns selbst und für unsere Mitmenschen. 

 

 

Um Sankt Martin herum sind mir diese beiden Lichtträger auf meiner abendlichen Waldrunde begegnet. Sie waren die Vorboten einer Gruppe Laternenkinder. 

Man könnte die Pandemie als eine dunkle Zeit bezeichnen. Doch leuchtet nicht gerade in der Dunkelheit Licht am hellsten? Wir gehen auf Weihnachten zu, das Fest der Liebe, die Geburt des Friedefürsts. Frieden fängt bei jedem Einzelnen an und setzt sich in der Gemeinschaft fort. Ich möchte gerne ein Hoffnungslicht sein. Es wird mir nicht immer gelingen. Vielleicht bin ich manchmal auch nur ein glimmender Docht. Aber so lange das Licht nicht verlöscht, ist keine Dunkelheit und viele noch so kleine Lichter zusammen bringen Wärme und Hoffnung in die Welt. 

 

Mache dich auf, werde licht! Denn dein licht kommt, und die herrlichkeit des herrn geht auf über dir. (Jesaja 60,1)

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Kommentare: 2
  • #1

    Edeltraud (Samstag, 04 Dezember 2021 10:18)

    Danke❣ - Es tut gut, wieder daran erinnert zu werden, um was es wirklich geht! - Ich wünsche Euch eine gesegnete, wundervolle Adventszeit!

  • #2

    Anne (Donnerstag, 09 Dezember 2021 00:37)

    Ich denke, wir erleben gerade den Auftakt zu all dem, was in der Offenbarung beschrieben wird. Und da ist Angst - in jeglicher Schattierung - verständlich. Ich hoffe und bete jedoch, dass ich und viele andere Menschen an Jesu Hand durch das Dunkel gehen werden. Wissend, dass Er uns buchstäblich entgegenkommt.