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Die Reise im Walbauch

 

Ich habe es in den letzten Blogbeiträgen ein paar Mal angedeutet: Es gab da etwas während der vergangenen Monate, das mich schwer bewegte, in meinen Entscheidungen hin- und herwarf. Es heißt, man ringt mit etwas. Bei mir war es wohl eher ein Ringkampf. 

 

Meine Chefin hatte immer mal wieder angekündigt, über ihren Ruhestand nachzudenken. Schließlich konkretisierte es sich. Als stellvertretende Schulleitung wurde ich angefragt, ob ich mir vorstellen könnte nachzurücken und ich antwortete gut durchdacht und fest entschlossen mit "Nein". Das Kollegium, unsere Sekretärin und meine Chefin äußerten mehrfach, dass sie sich sehr wünschen würden, ich möge es mir noch einmal überlegen und ich kann nicht behaupten, dass mich das kalt ließ. Aber mein Entschluss stand fest. Gerade hatte ich mein zweites Buch ans Lektorat übergeben und für mich war und ist klar, dass Schreiben ein wichtiger Bestandteil meines Lebens ist und das es nicht mein letztes Buch gewesen sein sollte. Würde ich dafür noch Zeit finden? Mein Arbeitsweg (die Schule ist über 40 km entfernt), die Familie und nicht zuletzt die seit Thilos Herzinfarkt wieder deutlich in mein Blickfeld gerückte Work-Life-Balance waren mehr als genug Gründe, bei meinem "Nein" zu bleiben. 

 

Wenn da nicht immer wieder diese Unruhe in mir gewesen wäre. Nächtelanges Wachliegen und Grübeln über die Aufstiegsmöglichkeit, die ich abgelehnt hatte, weil ich eigentlich wusste, dass mir der Preis dafür zu hoch war. Über mir wichtige Menschen, die mich darum baten, es mir noch einmal zu überlegen. Darüber, wie sich die Alternativen für uns alle auswirken würden. Irgendwann stand dieses Bild von Jona deutlich vor meinen Augen. Jona, der von Gott eine Aufgabe bekam und vor ihr davonlief. Der ein Schiff bestieg, dass ihn ganz weit weg von seiner Verantwortung bringen sollte, der von Gott eingeholt wurde und während eines Sturms über Bord ging. "Und der Herr entsandte einen großen Fisch, der Jona verschlingen sollte; und Jona war im Bauch des Fisches drei Tage und drei Nächte lang. Und Jona betete aus dem Bauch des Fisches zu dem Herrn, seinem Gott ..." (Jona 2,1).

Verhielt ich mich gerade wie Jona und versuchte, mich vor einer Aufgabe zu drücken und wegzulaufen? Oder lag ich doch richtig und sollte die Finger davon lassen?

 

Meine Geschichte mit dieser Schule war schon immer eine besondere. Als ich vor vierzehn Jahren das Stellenangebot bekam, war unsere Jüngste zwei Jahre alt und die Betreuung von unter dreijährigen Kindern noch keine Selbstverständlichkeit. Unsere Nachbarin bot an, das halbe Jahr bis zum Kindergarten zu überbrücken. Als ich schon beinahe zugesagt hatte, musste sie ihr Angebot zurückziehen. Auf Nachfrage in der Kita bekam ich einen ablehnenden Bescheid. Nach nervenaufreibendem Hin und Her und viel Gebet von allen Seiten bot uns der Kindergarten, einem Wunder gleich, einen Platz für Lina ab Anfang September an. Obwohl sie erst zwei war, noch nicht sauber und das Ganze bis dahin undenkbar. In die stellvertretende Schulleitung rutschte ich vor drei Jahren auf ähnliche Weise. All diese Schritte wie auch die beiden Buchverträge kamen zu mir, als wäre die Zeit gerade reif dafür. Und irgendwie spürte ich es auch jetzt wieder - trotz aller Bedenken: Dieses zarte Aufbrechen wie bei Frühlingsknospen. Keine Gewissheit, keine Entscheidung, aber etwas wie Hoffnung und Zuversicht, dass es gut werden könnte. Auf die eine oder auch auf die andere Art. 

 

 

Manchmal sollte man sein eigenes Buch selbst mal wieder in die Hand nehmen. "Mit zunehmender Selbstständigkeit der Kinder denke ich wieder über Karrieresprünge oder völlig neue berufliche Wege nach. Es ist ein zweischneidiges Schwert ...", hatte ich da 2019 geschrieben. Und: "Dann stellt sich erneut die Frage nach der Balance. Einerseits bin ich im besten Alter: Noch nicht zu alt, aber lebens- und berufserfahren. Es könnte genau die richtige Zeit sein, noch einmal durchzustarten, etwas Neues zu Wagen, mich voller Elan auf ein Projekt oder Ähnliches einzulassen ...  Die Zeit, in der ich mir und meinen Mitmenschen permanent beweisen wollte, was ich alles kann, liegt hinter mir. Ich kenne meine Fähigkeiten und bin ebenso in der Lage, um Hilfe zu bitten, wenn ich nicht weiterweiß."  (aus "Stroh zu Gold - Entdecken, was mein Leben wertvoll macht"). Vielleicht ist es gar kein so schlechter Zeitpunkt und auch nicht von Nachteil, mit Respekt an eine große Aufgabe heranzugehen. 

 

So habe ich - viele schlaflose Nächte, viele Gespräche und viele Ermutigungen später - den Entschluss gefasst, die Herausforderung anzunehmen. Irgendwie hat es diese Zwischenzeit gebraucht. "Vielleicht willst du dir die Fahrt im Walfisch auch einfach nicht entgehen lassen", hatte eine Bekannte auf Instagram kommentiert. Ich glaube, so könnte es gewesen sein. Manchmal war es einfach nur zappenduster im Bauch des Wals. Und manchmal ist mir vom Auf und Ab der Wellen speiübel geworden. Aber ich habe mir Zeit genommen. Zeit für Gespräche mit meiner Familie, guten Freunden und völlig außenstehenden Personen. Zeit mit Gott. Und Zeit mit mir selbst, meinen Ängsten und Hoffnungen, Plänen und Ideen, die ich in Zusammenhang mit dem Positionswechsel durchdachte. 

 

Drei Tage und drei Nächte war Jona im Bauch des Wals. Bei mir hat´s etwas länger gedauert. Dafür hoffe ich, dass ich nicht irgendwann zornig und selbstmitleidig unter einer Rizinusstaude sitze (Jona 4). 

 

Ab ersten August heißt es dann also für mich ...

 

 

Das beste Kollegium und die tollste Sekretärin haben mich nach meiner Entscheidung mit Sekt und Blumen empfangen. Wie kann man da widerstehen? Wenn ich mich  nicht gerade fürchte, freue ich mich inzwischen auf meine neue Aufgabe. Das positive Kribbeln nimmt zu und inzwischen weiß ich auch, dass ich eine tolle Stellvertretung an meiner Seite haben werde. Einfach wird es trotzdem nicht. Aber das mit der Work-Life-Balance will ich zumindest versuchen. Und deswegen blogge ich weiter. Allerdings wohl eher im monatlichen Abstand oder auch unregelmäßiger. Ich freue mich aber über jeden, der dabei bleibt und mich auf meinem Weg begleitet. 

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Kommentare: 6
  • #1

    Judith (Dienstag, 12 April 2022 18:09)

    Herzlichen Glückwunsch, liebe Nici❤

  • #2

    Esther Jesse (Dienstag, 12 April 2022 18:11)

    Liebe Nicole,
    Der Herr segne dich und behüte dich. Er lässt sein Angesicht leuchten über dir und schenkt dir seinen Frieden. Frieden, der höher ist als unser Verstand! Er selbst hebt sein Angesicht auf dich und ist dir gnädig!
    Danke für dein Impact in diese Generation.
    Shalom, Esther �

  • #3

    kaffiknopf (Dienstag, 12 April 2022 19:01)

    :) Ich gratuliere dir ganz sehr zu deinem Wagemut, zur neuen Stelle und dass du dir die Zeit genommen hast, vielleicht ein bisschen unfreiwillig aber jetzt umso sicherer. Das wird bestimmt richtig gut! Und stimmt - Jona hatte es nach 3 Tagen irgendwie einfach noch nicht kapiert …Alles Liebe, mirjam

  • #4

    Hilde (Dienstag, 12 April 2022 21:57)

    Ich bewundere deinen Mut-in jeder Hinsicht.

  • #5

    Dorothee (Mittwoch, 13 April 2022 09:33)

    Ganz herzlich gratuliere ich dir zu diesem neuen Amt. Für mich als Außenstehende ist dies der richtige Weg. Seit Jahren folge ich deinem Blog und sehe, wie du deinen Weg konsequent und reflektiert gehst. Du bewegst dich in der Natur draußen und die Natur bleibt auch nicht stehen. Für Zeiten des Sturms wünsche ich dir, dass du spüren darfst, Jesus sitzt in meinem Boot sowieso und immer.
    Herzliche Grüße Dorothee

  • #6

    Verena (Mittwoch, 13 April 2022 16:21)

    Herzlichen Glückwunsch und gutes Gelingen. In diesen so unruhigen Zeiten eine Schulleitung zu übernehmen ist ein mutiger Schritt. Ich wünsche dir Kraft, Gelassenheit und Stärke bei deiner neuen Aufgabe. Du wirst es gut machen, da bin ich mir sicher!