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Ich wähle Dankbarkeit

 

Gestern noch hat es dicke weiße Flocken vom Himmel geschneit. Den Wald in ein Winterwunderland verwandelt. Die Welt in wohltuende Stille gehüllt. Ich werde immer zum Kind, wenn es schneit. Wahrscheinlich noch mit 90 Jahren, wenn ich dieses gesegnete Alter erreichen sollte. Ich drücke mir die Nase an den Fensterscheiben platt und bekomme Lust, mit den Flocken zu tanzen. Mich ergreift eine ganz besondere, zauberhafte Leichtigkeit. Coronafrust, Entscheidungsgrübeleien und alles Schwere verlieren für den Moment an Bedeutung. 

 

Gestern noch hat es dicke weiße Flocken vom Himmel geschneit. Und heute? Heute bewahrheitete sich die Wettervorhersage zum was weiß ich wievielten Mal und der Schnee ist in Regen übergegangen. Hat das leichte, flockige Weiß in schweren, dreckigen Matsch und trübe Pfützen verwandelt. Der Himmel weint und ich könnte mich ihm glatt anschließen. 

 

 

Allen Wahrscheinlichkeiten zum Trotz treibt es mich hinaus in den Wald. Mit gut imprägnierter Outdoorjacke, Mütze und matschtauglichen Schuhen mache ich mich auf den Weg ... und staune.

 

Aus den Pfützen sind ganze Seenlandschaften entstanden. Darauf konzentrische Kreise, sobald ein Tropfen die Wasseroberfläche berührt. Die Schneeschmelze verursacht ein allgegenwärtiges, beinahe fröhliches Gluckern und Plätschern. An den Zweigen und Tannenspitzen hängen einzelne Wassertropfen wie Perlenohrringe. Das vorhin noch kaum wahrnehmbare einzelne zarte Vogelstimmchen ist einem lautstarken Orchester gewichen. 

Der Himmel reißt nicht auf. Nach wie vor graues Einerlei, wohin ich auch blicke. Zum depressiv werden eigentlich. Dennoch, von den Zehen bis zur Nasenspitze breitet sich irgendwie ein nicht zu verleugnendes Wohlbefinden in mir aus. Dankbarkeit darüber, dass Merinowollsocken und wasserdichte Goretex-Laufschuhe meine Füße warmhalten. Dass geschmolzener Schnee sich mit Quellwasser vereint und lustig vor sich hin gurgelt. Dass es den Vögeln egal zu sein scheint, ob der Himmel sich über ihnen ergießt. Meine Wahrnehmung hat sich verändert und es liegt nur an einer Entscheidung: Ich wähle Dankbarkeit ... und öffne damit die Tür zu einer anderen Welt. 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Ulrike (Samstag, 23 Juli 2022 14:43)

    Liebe Nicole,
    danke für die wunderschön festgehaltenen Eindrücke eines sich langsam verabschiedenden Winters.
    Im Urlaub hatte u.a. die Möglichkeit, dein Buch fertig zu lesen sowie Deinen Blog näher kennenzulernen.
    Vielen lieben Dank
    und weiterhin alles Gute