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Das Ändern leben

Bei unserem Kurzurlaub in Heidelberg ist mir diese Karte über den Weg gelaufen und hat sofort etwas in mir zum Klingen gebracht. Corona hat nicht nur mir gezeigt, dass sich etwas ändern muss und auch ändern kann. Ich glaube, kaum jemand möchte - trotz aller Freude über Öffnungen und sich endlich wieder Treffen können - genau dort weitermachen, wo er vor der Pandemie aufgehört hat. Ich hoffe, wir nutzen weiterhin digitale Möglichkeiten, wo es sinnvoll ist, damit nicht jeder allein in seinem Auto täglich viele Kilometer von A nach B zurücklegt und dabei  CO2-Emissionen hochtreibt. Ich will auch in Zukunft eingesparte Fahrzeiten in der Natur verbringen, gute Waldluft atmen und mich nicht nur zwischen Klassenzimmer und Büro bewegen. Und ich möchte Freizeitstress reduziert lassen, nicht mehr immer und überall dabei sein müssen. Neben Corona war es Thilos Herzinfarkt im Februar, der mich zum Einhalten und Nachdenken über unser Leben, unsere Gesundheit, unseren Stresslevel gebracht hat. Was ist gutes Leben? Was möchten wir beibehalten, was sollte sich ändern? Diese Fragen haben mich in den letzten Monaten im wahrsten Sinn des Wortes bewegt. Ich bin zur Läuferin geworden. Nicht zur sportlich ambitionierten Joggerin, sondern zu einer mit allen Sinnen wahrnehmenden Waldläuferin. Ich glaube, genau das war es, was mich so an dieser Karte angesprochen hat. Kein belehrendes: "Du musst dein Leben ändern!", sondern ein Bild der meditativen Gelassenheit gepaart mit einem umgestellten Satz, der so viel zum Ausdruck bringt. Ich bin in der Vergangenheit schon oft an dem "Du musst dein Leben ändern" hängengeblieben. Voller guter Vorsätze und dann kläglich scheiternd. Das kann doch auch anders gehen, oder?

 

 

Die Geschichte mit dem Laufen und mir begann, während Thilo auf Reha war. Ich lief jeden Abend durch unser Wohnviertel und suchte den Mond, unter dem wir uns gedanklich verabredet hatten. Anfangs begleiteten mich ab und zu die Kinder, die irgendwann feststellten, dass ich ihnen zu schnell wurde. Dieser kleine Hinweis weckte tatsächlich so etwas wie Ehrgeiz in mir Sportmuffel. Noch im Laufe des Winters weitete ich meine täglichen Runden in den Wald aus. Leider bin ich nicht nur Sportmuffel, sondern auch Angsthase. Der Wald ist potentiell gefährlich, voller böser Menschen und Wildschweine. Also lief ich entweder in sicherer Nähe zu Wohnhäusern oder ich wurde noch schneller. Die Geräusche des Waldes fand ich anfangs gar nicht entspannend. Jedes Knacken löste panisches Umschauen aus. Irgendwann guckte ich mehr hinter mich als auf meinen Weg. Zu Ostern schenkte mir Thilo handykompatible In-Ear-Kopfhörer und ich entdeckte Podcasts. Fortan lief ich wesentlich entspannter durch den Wald (kein Knacken und Rascheln mehr zu hören) und bekam nebenher wertvolle Inputs. Meine neue Fitnessuhr zählte jeden Schritt mit. Dieses kleine Technikwunder weiß genau, wie es mich kriegt. Früh werde ich mit einem ganz lieb lächelnden Sternchen und "Guten Morgen!" begrüßt. 6000 Schritte Tagesziel waren einprogrammiert und bei Erreichen derselben ploppte ein Turnschuh mit motivierender Botschaft auf. Ich hätte ja nie gedacht, dass ich mich von sowas beeindrucken lasse. Die simple positive Verstärkung kitzelte meinen Ehrgeiz, so dass ich das Tagesziel bald auf 7000 Schritte erhöhte. Und es funktioniert immer noch. Inzwischen bin ich nahezu angst- und podcastfrei im Wald unterwegs. Ab und zu mit einer Freundin, häufig allein und wenn es zeitlich klappt, mit meinem Mann. Wir haben einen eingewachsenen, einsamen Weiher mitten im Wald entdeckt. Seither ist eine Frühstückssemmel für den imposanten Graskarpfen und seine kleineren Gefährten reserviert. Nichts entschleunigt mehr, als auf dem Baumstumpf am See zu sitzen und schmatzenden Fischen beim Abendessen zuzuhören. Manchmal bricht die Dunkelheit herein und ich finde keine Begleitung für meinen täglichen Spaziergang. Dann wundert sich vermutlich unsere Nachbarschaft über die Verrückte, die ab und zu jede Straße unseres kleinen Stadtteils zweimal rauf- und runterläuft, wenn es wie aus Eimern schüttet mit Kapuze vermummt. Ich sage nur: 7000 Schritte. ;-)

 

 

Die Bewegung und Entschleunigung in der Natur tun uns wahnsinnig gut. Bei genauer Lebensstilanalyse war uns allerdings ziemlich schnell klar geworden, dass "unser Ändern leben" auch ein Stück weit Ernährungsumstellung bedeutet. (Herz-)gesunde Ernährung heißt weitestgehender Verzicht auf Fleisch. Ich habe geniale vegane Kochbücher, bei denen mir anfangs nicht mal klar war, dass es sich um vegane Rezepte handelt, weil sie so gar nicht "missionarisch" geschrieben sind (Deliciously Ella - unbezahlte Werbung). Allerdings empfinde ich die Kocherei als ziemlich aufwändig, selbst wenn das Buch "Quick & Easy" heißt. Kochen und Backen gehört nicht zu meinen Leidenschaften. Man mache mich zur Millionärin und ich stelle sofort eine Küchenhilfe (m-w-d) ein. Wir gehen also kleine Schritte und zugegebenermaßen nicht so konsequent wie in Sachen Bewegung. Unsere essverhaltensoriginellen Kinder sind mal mehr mal weniger angetan und werden - ich gebe es ganz ehrlich zu - ab und an mit TK-Nuggets und -Pommes zufriedengestellt. Auch die Pizzabestellung an besonders langen, stressigen Arbeitstagen von mir haben wir beibehalten. Man muss das Ganze ja noch irgendwie auf die Reihe kriegen. 

 

Ich glaube, als mir klar geworden war, wie simpel verhaltenstherapeutische Maßnahmen à la Schrittezähler bei mir funktionieren, habe ich mir u.s. Buch zugelegt, was sich als richtig gute Entscheidung erwies. Man setzt sich Wochenziele, die nach sieben Tagen reflektiert werden. Außerdem gibt es eine kleine Liste zum Tracken täglicher Ziele. Hier notiere ich mir sonntags wöchentlich wechselnde Ziele, wie Hafer- statt Kuhmilch (seitdem ist tatsächlich meine gelegentlich aus heiterem Himmel auftauchende Übelkeit verschwunden), Tagesbeginn ohne Social Media, Fleischverzicht usw.  Abends freue mich dann tierisch, wenn ich alle abhaken kann. So simpel bin ich gestrickt. Naja, wenn´  s hilft ...

 

 

So lebe ich in den letzten Monaten mein Ändern und merke, wie gut es mir damit geht. Sind ein paar Anregungen für dich dabei? Aber - ganz wichtig - ich möchte hier niemanden unter Druck setzen. Vielleicht geht es dir gerade so richtig gut in deinem Leben oder deine Herausforderung besteht eher darin, das Bedürfnis nach Kontrolle ein Stück weit loszulassen. Jede/r hat seine eigenen Baustellen und lebt sein Ändern auf seine Weise. Wie auch immer das bei dir aussieht: Fühl´  dich gesegnet!

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Annette (Mittwoch, 21 Juli 2021 15:19)

    ....immer wieder denke ich an den satz....das ändern leben....finde ich so spanennend und inspirierend....würdest du mir bitte verraten, um welches buch es sich handelt?
    herzlichst
    annette