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Wieder vertrauen lernen

 

Es ist schon eine Weile her, dass wir uns gelesen haben. Vor drei Wochen erzählte ich euch vom Herzinfarkt meines Mannes. Einem völlig unerwarteten lebensbedrohlichen Ereignis, dass uns ganz schön aus der Bahn geworfen und alles andere relativiert hat. Ich danke euch für die vielen ermutigenden, stärkenden Kommentare und alle guten Wünsche. Auch, wenn ich etliche von euch gar nicht persönlich kenne, habt ihr das Netz, das trägt weiter geknüpft. 

 

 

Ich habe länger nicht geschrieben. Weil wir den Schock verdauen mussten, weil irgendwie trotzdem der Alltag weiterging und weil ich tatsächlich nicht wusste, was ich schreiben sollte. Manche Dinge sind einfach zu persönlich und die meisten anderen erschienen mir plötzlich so banal. Dennoch hat sich die Welt natürlich weitergedreht und bei Weitem nicht alles, was passiert, ist banal. Auch ich wünsche mir so sehr ein Ende der Pandemie, will mich wieder im Freundeskreis treffen und mich bei Sonnenschein in ein Straßencafé setzen. Ich sehe, wie gut die Präsenzphase des Wechselunterrichts - das erste Mal in der Schule nach über drei Monaten - unseren Kindern tut. Und dann ist da die große Verunsicherung. Ich bin erleichtert, dass reagiert wird, wenn ein Impfstoff bedenkliche Nebenwirkungen zeigt. Gleichzeitig entsetzt, dass der Impfstopp von Astra Zeneca bei gleichzeitig steigenden Infektionszahlen und zunehmenden Lockerungen das Ende der Pandemie bedroht. Ich fühle mich inzwischen unsicherer, weil ich meinen Mann jetzt als Risikopatienten sehe und ihn nicht gefährden will. In Bayern werden bisher nur ErzieherInnen und GrundschullehrerInnen geimpft. Dass wir Berufsfachschullehrkräfte unsere SchülerInnen auch in den Krippen, Kitas und Horten besuchen, steht nicht auf dem Plan. Und wo ich früher (natürlich unter den entsprechenden Hygienemaßnahmen) relativ unbeschwert war, bin ich es heute nicht mehr. 

 

Ich will die kontrolle zurück, die ich nie hatte

Ich mache mir Gedanken. Um unsere Gesundheit, unsere Ernährung, unsere Bildung, unser Land. Ich will die Kontrolle zurück, die ich nie hatte. Die - wenn auch trügerische - Sicherheit. 

 

Am Tag von Thilos Infarkt hatte ich ein Gespräch mit meinem Vater. In irgendeinem Nebensatz erwähnte er meinen Glauben. Als Stütze, als Halt, als Hoffnung. Ich hielt mit all meinen Zweifeln dagegen. Und dennoch hatte er Recht. Ich muss meinem Glauben zumindest eine Chance geben. 

 

 

Er hat mich gut durch die letzten Wochen getragen. Jetzt kommt die Zeit der ersten großen Schritte zurück in den Alltag. Nach drei Wochen Reha ist Thilo heute morgen wieder ins Büro gefahren. Ich habe gestern nach langer Zeit das erste Mal vor der Tafel statt vor dem PC unterrichtet. Wir basteln an unserem Alltag, an unserer Ernährung, an unserer körperlichen Fitness. Ein neues Gleichgewicht muss gefunden werden zwischen Vorsicht und Vertrauen. Ich fühle mich verantwortlich, weiß aber gleichzeitig, dass ich nicht ständig nach eingenommenen Tabletten, Blutdruck und Befinden fragen darf. 

 

Ich muss wieder vertrauen lernen

So wie mein Mann in der Reha wieder gelernt hat, auf seinen Körper zu hören, seine Grenzen, aber auch Möglichkeiten wahrzunehmen, muss ich wieder vertrauen lernen:

 

Meinem Mann, dass er auf seinen Körper hört, auf sich aufpasst, das Leben aber auch weiterhin zu genießen weiß

 

Vertrauen, dass nach dem langen Winter die Sonne zurückkommt und auch den letzten Schneerest im schattigen Wald schmelzen lässt, selbst wenn sich im Moment immer noch ein paar Schneeflocken zu uns verirren

 

Vertrauen, dass die Zukunft unserer Kinder nicht nur von ihrer schulischen Bildung abhängt und dass sie neben vielen Einbußen, die diese Zeit mit sich bringt, auch Ressourcen und neue Kompetenzen mitnehmen können

 

Vertrauen, dass die gesundheitliche Bedrohung durch Corona trotz Impfstopp und steigenden Inzidenzen irgendwann Vergangenheit sein wird

 

Vertrauen, dass unsere Gesellschaft bis dahin nicht vor Frust und Ermüdung wütend aufeinander losgeht, sondern Netze bildet, die tragen

 

Vertrauen in unsere Körper, in unsere Seelen und unseren Glauben

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Edeltraud (Mittwoch, 17 März 2021 14:53)

    Danke, für Deine ehrlichen Worte! - Manchmal befinde ich mich auch in einer Denkschleife, und muß
    - oder besser will - mich daran erinnern, was uns hält und trägt!

    Ich bete weiter für Euch!
    Alles Liebe!
    Edeltraud

    PS: Ich finde Deine Bibelillustration wunderschön!

  • #2

    Edeltraud (Mittwoch, 17 März 2021 14:54)

    Entschuldige bitte den Doppeleintrag!