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Kraft-Worte

 

Die achte Woche #coronalltag ist angebrochen. Eigentlich war ich fest entschlossen, meinen nächsten Blogartikel ohne das C-Wort zu schreiben. Über die Frühlingsfülle vor der Tür vielleicht oder mal wieder ein Kett-Angebot für die Pädagogen unter euch (ich weiß, ihr wartet schon lange darauf, aber ich schaffe es momentan zeitlich einfach nicht). Stattdessen doch das C-Wort und noch viel mehr über Worte. Es ist mir einfach ein Bedürfnis.

 

 

Momentan bemalen Grundschullehrer/innen Zahlensteine und verstecken sie im Wald, wo sich ihre kleinen Schülerinnen und Schüler auf die Suche danach machen können. Andere bunt gestaltete Steine bilden Wege zwischen Kirchen und Seniorenheimen oder werden irgendwo ausgesetzt, um ihren Findern ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Die schöne Seite des Corona-Alltags. Die hoffnungsvolle.

 

Den "Worte"-Stein habe ich gerade aus den Untiefen unseres Schranks befördert. Er ist schon viele Jahre bei uns. Ich glaube, ich habe ihn nach einem Eheseminar beschriftet. Der Inhalt des Steins ist eine Selbstverständlichkeit, die doch immer wieder vergessen wird und zu Verletzungen führt. Wir wollten uns erinnern. 

 

Warum krame ich diesen stein ausgerechnet jetzt wieder hervor?

Ich muss ein bisschen ausholen. In den ersten Wochen Corona-Alltag ging es mir gut. Unsere Kinder sind von Alter und Entwicklung in der Lage, den größten Teil des Homeschoolings ohne Hilfe zu bewältigen und verstehen sich dankbarerweise so gut, dass die Einschränkungen der sozialen Isolation sie nicht in aller Härte trifft. 

 

Ich selbst habe großen Gefallen an der digitalen Lehre gefunden und noch dazu eine geniale E-Learning-Fortbildung, die mir Unterrichtsvorbereitung parallel zum eigenen Lernen ermöglicht. In der momentanen Situation sehe ich eine große Chance, digitales Lehren als Ergänzung (wichtig: nicht als Ersatz!) zum Präsenzunterricht zu installieren und fortzuentwickeln. 

 

In unserer Gesellschaft empfand ich ein Zusammenrücken trotz räumlicher Distanz. Da war plötzlich Wertschätzung für Menschen in sonst so wenig anerkannten Berufen, wie der Pflege, im Verkauf, bei der Müllabfuhr. Von ein paar Ausnahmen abgesehen schien es mir, als gingen wir respektvoller und achtsamer miteinander um. Das Wegfallen von zu viel selbst auferlegtem Freizeitstress erleichterte mich. Fast hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil es mir so gut ging.

 

 

Irgendwann im Verlauf der letzten beiden Wochen änderte sich das. Ich bemerkte eine zunehmende Sensibilität bei mir. Unachtsam ausgesprochene Worte (vielleicht ohne jede böse Absicht) hatten plötzlich die Macht, mich tief zu erschüttern. Der Versuch einer Reflexion: Bin ich übersensibel? Wird mir - trotz Wegfallen aller Freizeitveranstaltungen - plötzlich die berufliche Mehrbelastung (die Balance zwischen Fortbildung, digitaler Aufbereitung des Unterrichts und "Fernbetreuung" der Schüler bei gleichzeitiger Vorbereitung von Präsenzveranstaltungen und dazu die Schulleitungsaufgaben) zu viel? Kann das sein? So bin ich nicht. Ich bin eine Powerfrau. Außerdem habe ich im Gegensatz zu vielen anderen Familien halbwegs große, ziemlich selbstständige Kinder und keine Sorge um einen sicheren, bezahlten Arbeitsplatz. Wer ist also dieses Sensibelchen in mir und was will es?

 

Zunächst einmal kamen die vernünftigen Antworten - natürlich macht diese Situation nach vielen Wochen auch etwas mit mir - und die beruhigende Gewissheit, dass das normal ist und sein darf. 

 

Phase zwei

Darüber hinaus wird mir aber auch mehr und mehr bewusst, dass die sogenannte "Phase zwei", in der wir gerade leben, es wirklich in sich hat. Nach Schock, Angst, Zusammenrücken und der Dankbarkeit, dass unsere Regierung uns mit Plan und Verstand durch diese so noch nie da gewesene Krise leitet, führt gerade der Erfolg dieser Maßnahmen (keine überfüllten Krankenhäuser, deutlich rückläufige Infektionszahlen), gepaart mit der Tatsache, dass der Ausnahmezustand nun doch schon einige Zeit andauert, dazu, dass sich Missmut, Verschwörungstheorien und Hetze breitmachen. 

 

Und da sind wir wieder bei der Macht der Worte angelangt. Ich glaube, ein großer Teil meiner Sensibilität hat etwas damit zu tun, wie diese Wortkeulen gerade zuschlagen. 

Eben noch gefeierte Virologen erhalten Morddrohungen, Erziehern und Lehrern wird vorgeworfen, dass sie auf diese Situation nicht vorbereitet waren und unser Schulsystem (was sicherlich - wie alles andere auch - nicht perfekt ist) unsere Kinder auf dem Gewissen hat. Vielleicht bin ich hypersensibel, aber ich empfinde es so, als bewältigten viele meiner Zeitgenossen ihre Unsicherheit damit, verbal auf alles einzuschlagen, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Und ich trauere um die (hoffentlich nicht ganz) verpasste Chance, sich mit Wertschätzung füreinander gemeinsam auf den Weg zu machen. Das Gute am Anderen zu sehen und zu spiegeln und das weniger Gute konstruktiv anzugehen. Achtsam, nicht mit der Hammermethode. Denn die ruft nur Widerstand hervor. 

 

 

Ich will nicht zurückschlagen, die Hoffnung nicht aufgeben. Ich will kleine, zarte Pflanzen der Hoffnung säen. Ich will gute Worte aussprechen und gute Gedanken denken, denn sie gehen meinen Worten voraus. Und ich weiß genau, dass ich dabei immer wieder scheitern werde. Aber jedes gute Wort ist ein Grundstein, auf dem aufgebaut werden kann.

 

Und so habe ich unseren alten "Worte"-Stein wieder ausgegraben. Als Gedächtnisstütze. Und ich suche nach Gelegenheiten, Gutes über Andere auszusprechen und zu überlegen, was mir, was uns guttut. Bei Lena habe ich vom Hauskreis-Wichteln gelesen und diese Idee gleich für unseren Frauenkreis geklaut, nein geteilt. Die meisten von uns haben sich seit vielen Wochen nicht mehr gesehen. Jetzt denken wir uns eine kleine Freude für die Andere aus und stellen sie vor die Haustür. Ich wurde gestern beschenkt. Mit einem selbst getöpferten Glaubensboot, lieben, aufbauenden Worten, einem Bibelvers und … einem Deichschaf. Als ich das Seifenschaf gesehen habe, musste ich gleich an unsere Nordseeurlaube denken. Ich liebe ja das Meer und die Weite. Was wäre da ein schöneres Geschenk als Worte, Symbole und Erinnerungsschätze.

 

Ihr wisst ja, die Wichtel-Idee ist geklaut und ihr dürft natürlich auch klauen. Hauskreiswichteln, Nachbarschaftswichteln, Kollegenwichteln … . Es tut so gut! 

 


Vielmehr soll das, was ihr sagt, gut, angemessen und hilfreich sein; dann werden eure Worte denen, an die sie gerichtet sind, wohl tun. (Eph. 4,29)

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Kommentare: 4
  • #1

    Mutti (Dienstag, 05 Mai 2020 12:58)

    Hallo Nici, die Idee mit den Steinen finde ich super.
    Ich habe gerade eine Muttertagskarte für Oma Gitta gestaltet, mit gepressten Stiefmütterchen. Eins ist übriggeblieben, das werde ich auf eine Karte kleben und meiner Nachbarin morgen in den Briefkasten werfen. Sie hat Geburtstag. Von ihr stammt die Idee mit dem Sonntagssingen, das hat inzwischen 6 Nachbarsfamilien angesteckt. Wir singen alle gemeinsam (mit gebürendem Abstand) jeden Sonntag 19 Uhr. Ein Nachbar spielt dazu Ziehharmonika und teilt die Liedtexte aus.
    So sieht man Nachbarn, die man ewig nicht gesehen hat.
    Und ich denke mir, dass ein kleiner Geburtstagsgruß da auch ein kleines Zeichen ist.
    Bleibt alle gesund- ich würde euch so gern wieder in den Arm nehmen....

  • #2

    Petra (Dienstag, 05 Mai 2020 20:08)

    Liebe Nici,
    du hast mir aus der Seele gesprochen. Bei uns in der Familie wird im Moment gerne mit Wortkeulen geworfen, was mir sehr zusetzt. Auch in meiner Umgebung wird der Ton rauer. Ich gehöre zu den Hochsensiblen und mich nimmt es doppelt mit. Heute habe ich noch zu meinen 3 Männern gesagt, auch wenn wir nicht an Corona erkranken, so nimmt auf jeden Fall unsere Seele Schaden. Das Wichteln ist eine tolle Idee. Wir werden morgen in unserer Gemeinde einen besonderen Gemeindenachmittag feiern. Der KV hat Tüten gepackt mit Kuchen, Tee oder Cappuccino, einer Karte und einer Andacht. Die werden wir morgen Vormittag verteilen und im Nachmittag um 15.00 Uhr soll jeder bei sich zu Hause Kaffee trinken und so sind wir in Gedanken zusammen. Zum Schluss sollen wir jemanden anrufen um ihm zu zeigen, das er nicht alleine ist. Bin schon sehr gespannt. Ich wünsche dir einen schönen Abend und bleib gesund. Liebe Grüße Petra �

  • #3

    Marlen (Dienstag, 05 Mai 2020 21:19)

    Liebe Nici,

    durch deine Worte hat sich bei mir eine Erinnerung eingeschlichen: die Macht der Gedanken, die Kraft der Worte...auch ich kann und möchte mich nicht beschweren, uns geht es mit der Situation soweit gut, und doch nagt etwas im Stillen an einem: Gedanken und Worte. Leider nicht mehr so viele Posititive wie vor ein paar Wochen...doch die Erinnerung das es auch an mir liegt diese in andere Bahnen zu lenken ist mir durch deine Worte wieder bewusst geworden, danke liebe Nici!
    Alles Liebe!
    Marlen

  • #4

    Anna Rein (Mittwoch, 06 Mai 2020 15:47)

    Das mit den Steinen ist eine klasse Idee! Werde ich nachmachen.