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Verwurzelt

Gerade noch hatten wir Ferien, da sitze ich schon wieder völlig Banane im Auto. Ein fast elfstündiger Arbeitstag liegt hinter mir. Unterricht, Büro, Konferenz. Manches fand ich unschön an diesem Tag. Ich muss dringend runterkommen. Vielleicht sollte ich es mal mit dem Rocksender versuchen. Sowas wie AC/DC wäre jetzt gut. Das Radio ist noch auf einen anderen Sender eingestellt. Der mit den guten Reportagen. Früher war die Musik gruselig. Inzwischen ist das etwas besser geworden. Auch mein Mann hat schon festgestellt, dass der Musikgeschmack dort jünger wird. Oder wir älter? 🙈 Jedenfalls kommt gar keine Musik, sondern … Pumuckl. Scheinbar haben die auch ein Programm für ganz junge Hörer. Aber, was soll ich sagen? Pumuckl ist gerade ganz genau richtig für mich. Ich fühle mich um Jahre zurückversetzt, lache laut von ganz tief innen und fühle, wie der Stress von mir abfällt. Herrlich!

 

Eigentlich wollte ich von den letzten Tagen der Faschingsferien erzählen. Und das mache ich auch gleich. Doch wie das bei kleinen rothaarigen Kobolden so ist, Pumuckl musste auch in den Text. Unbedingt! 

 

Jetzt aber: Von Donnerstag bis Sonntag war Thilo mit den Mädels, einem Freund und dessen Tochter beim Skifahren. Und ich hatte mal wieder keine Lust, alleine zu Hause rumzusitzen. Letztes Jahr war ich zu dieser Zeit im Kloster Plankstetten und das waren bereichernde Tage gewesen. Also hörte ich mich um und fand "Verwurzelt - Impulse zur Lebensgestaltung", eine Veranstaltung des katholischen Frauenbundes im Kloster Strahlfeld

 

 

Gleich in der Vorstellungsrunde outete ich mich, wie schon im letzten Jahr, als in der evangelischen Kirche verwurzelt und war mal wieder die Einzige. Bei einer Veranstaltung des katholischen Frauenbundes in einem katholischen Kloster natürlich nicht verwunderlich. Und abermals wurde ich sehr herzlich aufgenommen. Ich senkte den Altersdurchschnitt um mindestens fünfzehn Jahre, was mir bei der Anmeldung nicht bewusst gewesen war. Die quicklebendige Ordensschwester, die durch die sogenannten "Oasentage" führte, ist 80 Jahre alt. Sie wurde mangels jüngerer Alternativen erst kürzlich zur Regionalpriorin befördert und ist nun deutschlandweit für ihren international aktiven dominikanischen Orden verantwortlich. Demnächst fliegt sie nach Kolumbien. Das hält sicher jung. Aber ich glaube, dass sie auch nicht viel Wahl hat. 

 

Gleich am ersten Abend wurde meine große, in diesem Winter noch vergebliche Sehnsucht nach richtig viel Schnee erfüllt. Ich war im Grünen angekommen und nach der Einführungsveranstaltung gab es draußen plötzlich ein Winterwunderland. Obwohl es nicht zu knapp schneite und meine Mütze und der Schal im Auto lagen, musste ich raus. Es war so unfassbar schön! Beim Laufen knirschte es unter den Füßen. Wie ich das vermisst hatte. 

 

 

Ist das nicht ein Traum? Ich finde, ein paar der Fotomotive ließen sich wunderbar als Weihnachtskarten verwenden. Vielleicht mache ich das, falls sich unsere Teenagerkinder irgendwann als Fotomodelle verweigern (ich warte jedes Jahr darauf und freue mich immer, wenn es noch nicht soweit ist). Die weiße Pracht hielt nur kurz. Schon am nächsten Tag wurde der Schnee nass und schwer und schmolz schließlich ganz dahin, so dass ich auch meine Heimfahrt im Grünen antrat. Aber dieser eine Abend war einfach ein unglaubliches Geschenk.

 

Die Oasentage selbst erwiesen sich als eine Mischung aus Kreativzeit, körperlichen Entspannungsübungen und vielen Inputs zum Thema "Verwurzeltsein". Es war fast ein bisschen viel für meinen Geschmack. Ich hatte wohl eher Gedankenanstöße und mehr Zeit für mich erwartet, doch das Programm war ziemlich durchgetaktet und straff. 

 

 

Nichtsdestotrotz habe ich viel mitgenommen und zu Hause die auf Norderney neu begonnene Tradition fortgeführt, aus den Inhalten ein kleines Heft zu gestalten. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich es immer mal wieder aufschlagen und über den einen oder anderen Punkt nachdenken werde. Diese Tage im Kloster brachten mir nicht die Entschleunigung, die ich erhofft hatte. Dafür bekam ich - nachdem ich den ersten Schreck darüber verwunden hatte, hier vor allem von Frauen im Alter meiner Mutter umgeben zu sein - unerwartete Geschenke. Denn gerade die (Tisch-)Gespräche mit diesen lebensreifen Frauen, sei es über den Umgang mit dem Verlust des langjährigen Lebenspartners oder die katholische Frauenbewegung Maria 2.0, haben mich wirklich bereichert. So waren diese Tage unerwartet anders und doch reich gesegnet.

 

 

Dem kleinen Klosterladen konnte ich natürlich nicht widerstehen. Eine Biografie über Henri Nouwen musste ebenso mit wie die wunderschönen lavendelfarbenen Socken (ich bekomme das mit dem Sockenstricken ja leider nicht selbst auf die Reihe). Außerdem hatte ich mich in ein getöpfertes Räucherstövchen verguckt und das mit dem Räuchern wollte ich ja schon immer mal ausprobieren. Wie erzählte eine der Frauen beim Gespräch über gelebte Ökumene so schön: Eine ihrer protestantischen Bekannten besucht ab und an gerne mal einen katholischen Gottesdienst, weil es da mehr "Hokus Pokus" gibt. Könnte man jetzt missverstehen, aber ich glaube, ich weiß, was sie meinte. Manchmal empfinde ich katholisches Brauchtum auch irgendwie reizvoll im Vergleich zu der nüchternen protestantischen Art. Praktischerweise gab es in dem kleinen Lädchen eine große Auswahl an Kräutern und Weihrauchmischungen. 

Ich war vor meiner Familie zu Hause und probierte gleich mal die Kräutermischung "Reinigung" aus. Kann in Zeiten von Corona und Grippe ja nicht schaden. Hmm, war vielleicht doch ein bisschen zu viel "Hokus Pokus" für meine protestantische Nase. Nach kräftigem Lüften vernebelte ich zum Ausgleich etwas Duftöl. Trotzdem waren meine Mann und die Mädchen irritiert von dem eigenartigen Geruch bei uns. Ich glaube, die Kräutermischung hat ihren nächsten Einsatz im Sommer auf der Terrasse. Bestimmt vertreibt sie wunderbar die Mücken. Heute habe ich mich an die Weihrauchmischung gewagt. Schon etwas besser, aber für meinen Geschmack auch eher terrassengeeignet. Ich bin wohl doch ziemlich evangelisch. 😉

 

 

Im Kloster leben im Moment vier junge Ordensschwestern aus Kenia und Simbabwe. Sie gestalteten den sonntäglichen Gottesdienst mit Trommeln und Gesängen. Wunderschön anzuhören! Ich mag diese Vielfalt. Unter den katholischen Teilnehmerinnen der Oasentage war ich die einzige Protestantin. Menschlich hat das kein bisschen gestört. Wenn wir von den hierarchischen Strukturen unserer christlichen Kirchen einmal absehen würden, könnten wir, glaube ich, gut wieder zu einer werden. Ja, es gibt Unterschiede. Manchmal sind sie sogar ziemlich groß. Aber ist das nicht auch der Reichtum unserer Glaubensgemeinschaft? Evangelisch, katholisch, freikirchlich, charismatisch … wir glauben an denselben Gott. Und auch der respektvolle, offene Austausch mit Gläubigen anderer Religionsrichtungen bereichert unseren Horizont. Hier komme ich wieder zurück zum Thema der Oasentage. Wenn ich gut verwurzelt bin, kann ich mich wie ein Baum mit dem Wind bewegen, muss weder starr noch unflexibel sein. Denn ich weiß mich gehalten. Verwurzelt. 

 

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Kommentare: 5
  • #1

    Sandra Geissler (Dienstag, 03 März 2020 22:17)

    Ach liebe Nici, jetzt weißt du, wie es mir immer geht...ich bin ja immer die einzige Katholikin. Der Gedanke mit der Verwurzelung ist schön und trifft es auf den Punkt. Liebe Grüße

  • #2

    Debbie (Mittwoch, 04 März 2020 23:49)

    Liebe Sandra, bist du in der Blogleser-Gemeinschaft die einzige Katholikin oder auch in deinem (nicht - virtuellen ;) ) Alltag?
    Ich komme aus einer Freikirche und gehe in eine Katholische Kirche. Ich fühle mich mit beiden Kirchen verbunden. Im Freikirchenkontext bin ich immer alleine mit meiner Verbundenheit zur Katholischen Kirche. In der Katholischen Kirche und Hochschulgemeinde bin ich nicht die einzige evangelische Person. Liebe Grüße von Debbie

  • #3

    Sandra Geissler (Donnerstag, 05 März 2020 20:15)

    Hallo, liebe Debbie, ich habe mich auf die Bloggerinnengemeinde bezogen. Daheim bin ich in der katholischen Kirche, vor allem in der katholischen Liturgie. Aber nicht zuletzt Dank der verschiedenen Bloggerinnen, die ich schon kennenlernen durfte, finde ich die vielen unterschiedlichen Wohnzimmer Gottes auf Erden sehr spannend und bereichernd

  • #4

    Debbie (Freitag, 06 März 2020 09:52)

    Danke, liebe Sandra! Was für ein schöner Ausdruck: Die Wohnzimmer Gottes auf Erden :) Ja, ich finde sie auch sehr sehr spannend und bereichernd.

  • #5

    Debbie (Freitag, 06 März 2020 10:13)

    Für Interessierte über den Ursprung von "Hokuspokus" :) Der "Hokuspokus!" beruht auf einem buchstäblichen Missverständnis: Früher hielten christliche Priester Gottesdienste ausschließlich in lateinischer Sprache. Das salbungsvolle "Hoc est enim corpus meus", was "Das ist mein Leib" bedeutet, verstanden damals jedoch nur Gelehrte.
    Denn tatsächlich konnte man aus dem lateinischen Satz schnell genau das verstehen: "Hokus Pokus". Und da nach dem Verständnis der Geistlichen etwas während des Gottesdienstes verwandelt wird - das Brot, die Hostie, in den Leib Jesu Christi - war der vermeintliche Zauberspruch geschaffen. Und da raunten sich manche Gottesdienstbesucher leise zu: "Jetzt macht er wieder seinen Hokuspokus." ( Quelle: https://www.geo.de/geolino/redewendungen/19500-rtkl-zauberformel-hokus-pokus )

    Danke Nici, dass ich diese Info hier noch ergänzen durfte!